Der „Aachener Carnevals Verein Florresei“ von 1829 – des AKV Wurzel und Lehrmeister

Frank Pohle

Der „Aachener Karnevalsverein von 1859 e.V.“ ist unter den heute existierenden Karnevalsvereinen Aachens der zweitälteste. Lediglich die „Oecher Penn“, Aachens traditioneller Gardeverein, hat noch zwei Jahre mehr aufzuweisen, während sich andere frühe Gründungen wie die „Florresei“ (1829) oder die „Blaresei“ (1837) längst aufgelöst haben.1

Die Geschichte des organisierten Karnevals in Aachen beginnt also nicht mit dem AKV, sondern mit dem „Aachener Carnevals Verein Florresei“ im Jahr 1829. Der Gründer und Gründungsvorsitzende, der Justizbeamte Clemens August Hecker (†1832) (Abb.1), war zuvor bereits mit allen närrischen Wassern des Rheinlands gewaschen2: Er hatte den aufstrebenden Vereinskarneval in Köln nach der sogenannten Karnevalsreform von 1823 verfolgt, war Ritter und „Doctor humoris causa“ der altehrwürdigen „Dülkener Narrenakademie“, kannte die „Dürener Wurmmessergilde“ von 1827, die erst 1828 begründeten „Linnicher Eiertipper“ und die Anfänge des reformierten Karnevals in Trier in Gestalt der „Schoppenstecher-Innung“. Diese vielfältigen Erfahrungen in überwiegend noch ganz jungen (und zum Teil sehr kurzlebigen) Vereinen beflügelten ihn, auch in Aachen einen Karnevalsverein zu gründen – einerseits eine Vereinigung, in der ein gezähmter, auf gepflegten Unsinn ohne aufwendige Kostüme angelegter Saalkarneval gefeiert werden sollte, der sich aber andererseits das Prinzip der Gleichheit aller Narren auf die Fahnen schrieb:

Alle Mitglieder, egal welchen Standes, redeten sich mit „Florres“ an – wobei angesichts der mit der Mitgliedschaft verbundenen Kosten in Gestalt der Aufnahme- und der Jahresgebühr, der Aufwendungen für die gediegene bürgerliche Kleidung und die Kappe in den Farben der Gesellschaft (Grün- Gelb-Rot-Weiß, welche vier Aachener Stadtviertel bezeichnen sollten), der Verpflichtung zur Wohltätigkeit und zum Mitfeiern in gehobenen Restaurants mit Weinzwang dafür sorgte, dass die Standesunterschiede nicht gar so disparat waren: Vertreter von Handel und Industrie, Grundbesitzer, Staats- und Stadtbedienstete höherer und gehobener Ränge sowie Angehörige des preußischen Dienstadels trafen sich hier; Männer (und zwar nur Männer!), die über die Vorgänge in der Welt ebenso orientiert waren wie in ihrer Heimatstadt und denen eine gewisse Bildung und Weltläufigkeit unterstellt werden kann, die auch den Humor in der Bütt, auf dem geflügelten Pegasus oder auch schon allein in den satzungsgemäß festgeschriebenen Umgangsformen prägte.

Am 12. Februar 1829 im Aachener Stadttheater – es sollte lange Jahre das Vereinsquartier bleiben (Abb.2) – trat die Gründungsversammlung der Florresen zusammen, deren Zusammenschluss schon laut Einladungsschreiben Heckers dazu dienen sollte, „den der Menschheit von Haus aus angestammten Trieb zur Narrheit nach Leibeskräften zu kultiviren und zu perfectioniren3“. In den Gründungsstatuten wird es heißen, der Verein diene „zu einer würdigen dem Einzelnen sowohl als dem Allgemeinen ersprießlichen Feyer der heiteren CarnevalsZeit. Diesem Grundprincipe gemäß kann der Zweck dieser Gesellschaft kein anderer sein, als den eigenthümlichen Frohsinn dieser Tage mit dem ernstern Streben des Wohlthuns zu verbinden4“, was auch die Selbstverpflichtung zu einer gewissen Enthaltsamkeit gegenüber andere (möglicherweise) verletzenden Inhalte mit sich brachte. Der Geist des Mottos „Jedem wohl und niemand wehe“ durchzieht denn auch die Vereinsstatuten wie ein roter Faden; wer dagegen (und mithin gegen die Regeln des guten Geschmacks) verstieß, konnte bestraft werden: mit Ausschluss aus dem Verein in schweren, mit dem Abschneiden einer Kappenspitze in leichteren Fällen. Von Anfang an zogen sich allerdings auch Streitigkeiten durch den Verein, die Präses Clemens Hecker nicht ausgleichen konnte. Eine Revision der Vereinsstatuten 1831 brachte zwar zunächst Ruhe, indem die Mitgliederstruktur zugunsten der gehobenen Stände bereinigt wurde 5, doch trug die schnelle Entwicklung des Zusammenschlusses – 1835 konnte die Florresei ihr 400. Mitglied begrüßen –wohl auch dazu bei, dass eine innere Festigung um gemeinsame Werte und Ansichten letztlich nicht gelang. 1859, vor dem Hintergrund des Krieges in Italien und der Nationalstaatsdebatten in Deutschland, scheint der Frohsinn nicht mehr so allgemein und so unpolitisch gewesen zu sein wie er
hätte sein sollen. Entlang der Bruchlinien von Konservativismus und Demokratisierung,
von großdeutscher und kleindeutscher Lösung der Deutschen Frage, von ultramontanem Katholizismus und Liberalismus gärte es, und über die Frage nach der Zukunft des Kirchenstaates angesichts der italienischen
Einigung im Risorgimento und der Frage nach preußischen Hilfstruppen für die in Italien militärisch
unter Druck stehenden Österreicher kam es schließlich, begleitet von einer erbitterten Zeitungsschlacht
als Scheidungskrieg (Abb. 3), zu Massenaustritten aus der Florresei6. Am 9. November 1859 gründeten die (konservativ, katholisch und kleindeutsch gesonnenen) Abtrünnigen ihren eigenen Verein, der noch im Gründungsjahr 222 Mitglieder aus den „besseren und besten Ständen der Stadt 7“ gefunden haben soll. Erster Präsident des neuen Vereins war mit Christian Felix Ackens (1816–1866) nicht einfach nur ein Ex-Florres – was angesichts der Gründungsgeschichte fast selbstverständlich ist – sondern der Ex-Präsident der Florresei, der dort von 1853 bis zur Krise 1859 den Vorsitz inne hatte und eine Reihe von Vereinsfunktionären zum Übertritt in die Neugründung überreden konnte.

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